"Mein Ziel ist es eine eigene Forschungsgruppe zu etablieren"

Montag, 13.07.2015

Florian ­Bellutti befasst sich im Rahmen seines ­PhD-Studiums an der ­Medizinischen Universität Wien mit dem Prozess der Leukämieentstehung und Schäden an der Erbsubstanz. Im Südstern- Interview erzählt er uns unter anderem, warum die Präzisionsmedizin und Bioinformatik an Bedeutung gewinnen werden und er sich für diese Studienrichtung entschieden hat.


Im Rahmen deines PhD‐Studiums an der Medizinischen Universität Wien erforschst du am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien die Mechanismen der Zellteilung. Welche Rolle spielen diese Prozesse bei der Krebsentstehung?

Neue Zellen entstehen, indem sich bereits vorhandene Zellen teilen und dieser Vorgang ermöglicht letztendlich die Entstehung von Geweben und funktionierenden Organismen. In unserem Körper finden in jeder Sekunde Millionen dieser Zellteilungen statt, die unter anderem das Ziel haben absterbende Zellen zu ersetzen. Unsere Organe erneuern sich dadurch ständig. Dieser Prozess unterliegt einer sehr strengen Kontrolle durch spezielle Enzyme, die das Gleichgewicht zwischen Zelltod und Zellteilung sicherstellen sollen. Entgleisen diese Kontrollmechanismen, kann es sein, dass sich Zellen anfangen ungehemmt zu teilen und dann kann es eventuell zur Krebsentstehung kommen.



Woran forschst du gerade und welche Rückschlüsse für den Menschen lassen sich daraus ziehen?

Derzeit arbeite ich in einer internationalen Forschergruppe, die aus Molekularbiologen, Humanmedizinern, Veterinärmedizinern, Pharmazeuten und Chemikern besteht. Gemeinsam versuchen wir die biochemischen Vorgänge die während der Leukämieentstehung in den Zellen stattfinden besser zu verstehen. Die Fortschritte, die in den letzten Jahren auf diesem Gebiet erzielt wurden, sind beachtlich, aber es gibt noch sehr viele Unklarheiten im Zusammenhang mit diesen Erkrankungen. Unser Ziel ist es die Heilungschancen der Patienten zu verbessern und unsere Forschung soll helfen neue Therapien zu entwickeln bzw. bestehende Therapieprotokolle zu optimieren. Meine Doktorarbeit befasst sich mit Schäden der Erbsubstanz (DNA), die in Krebszellen sehr häufig zu beobachten sind und dort im Vergleich zu gesunden Zellen nicht effizient repariert werden. Somit werden sie durch die Zellteilung auf neu entstehende Krebszellen übertragen und können den Tumor aggressiver machen. Aufgrund unserer Ergebnisse versuchen wir Rückschlüsse zu ziehen, warum manche Patientengruppen besser auf Therapien ansprechen als andere. Das soll letztlich den Grundstein für neue bzw. individuell abgestimmte Behandlungen legen.



Nachdem du in Wien einen Biologie Bachelor und anschließend einen Master in Molekularbiologie abgeschlossen hast, hast du ein PhD-Studium an der Medizinischen Universität Wien begonnen. Welche Überlegung stand hinter dieser Entscheidung?


Während meines Studiums habe ich einige Kurse zum Thema Tumorbiologie besucht und dieses spannende Gebiet hat schon bald mein Interesse geweckt. Im Masterstudium habe ich den Schwerpunkt Molekulare Medizin gewählt und kam dadurch in Kontakt mit Wissenschaftlern, die in der medizinischen Forschung tätig sind. Ich habe meine Masterarbeit an der St. Anna Kinderkrebsforschung absolviert, wo ich in ein Labor eingebunden war, das sehr eng mit der Klinik zusammenarbeitet. Dort wurde an verschiedenen Aspekten der Leukämie gearbeitet, aber auch Bakterien, Pilze und Viren untersucht, die häufig eine Gefahr für bereits behandelte und dadurch immungeschwächte Patienten darstellen. Nach dieser Erfahrung stand für mich fest, dass ich mein Wissen vertiefen und weiterhin in diesem Gebiet arbeiten möchte. Daraufhin habe ich mich für eine Stelle in der Forschungsgruppe von Prof. Veronika Sexl beworben und hatte das große Glück und die Möglichkeit dort gleich anschließend mit meiner Dissertation beginnen zu können.


Was war ausschlaggebend dafür, im Bereich der Pharmakologie zu arbeiten?

Die Grundlagen für die Entstehung bzw. das Fortschreiten einer Erkrankung genauestens zu studieren ist ein essenzieller Punkt, wenn man die Medizin der Zukunft erfolgreich gestalten will. Der darauf aufbauende Weg zum fertigen Medikament ist jedoch noch sehr lang. Um Substanzen therapeutisch einsetzen zu können, muss man sich deshalb mit vielen Aspekten der Wechselwirkung mit dem Organismus beschäftigen. Man muss verstehen, wie die Substanz auf den Körper wirkt aber auch was der Körper mit der Substanz macht. Darüber hinaus befasst sich die Pharmakologie mit der Identifizierung und Validierung von neuen Angriffspunkten für Pharmaka und untersucht deren Wirkung in kranken und gesunden Organismen. An dieser Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung gibt es zwar viele Stolpersteine aber auch sehr großes Potenzial. Deshalb habe ich mich dafür besonders interessiert.



Welche Rolle wird die Bioinformatik (im Hinblick auf die vielen Bioinformatik-Start-ups) deiner Ansicht nach in Zukunft spielen?

Das Fachgebiet Molekularbiologie befindet sich derzeit in einer großen Umbruchphase. In den letzten Jahren sind Sequenziertechnologien stark optimiert und preislich für viele Labors zugänglich geworden – Tendenz stark steigend. Die meisten Organismen, die für medizinische Forschung verwendet werden besitzen über 20.000 Gene und noch viel mehr verschiedene RNA Moleküle und Proteine. Um die Gesamtheit dieser Faktoren zu erfassen und zu verstehen sind komplexe Algorithmen notwendig und deshalb Experten aus dem Bereich Bioinformatik gefragt. Außerdem stellen viele klinische Zentren Patientendaten anonymisiert der internationalen Forschergemeinschaft zur Verfügung und diese gigantischen Datenbanken zu durchforsten und daraus Informationen zu extrahieren erfordert ebenfalls Erfahrung im Bereich Informatik. Ich bin überzeugt, dass sich manche der Bioinformatik-Start-ups zu erfolgreichen Unternehmen entwickeln werden, vor allem weil es sich für manche Labors durchaus Sinn macht, projektbezogene bioinformatische Analysen auszulagern, anstatt ganzjährig ein Team an Informatikern zu beschäftigen.



Was wird sich deiner Meinung nach in der Pharmakologie und Toxikologie in den nächsten Jahren spannendes tun? Welche Durchbrüche sind absehbar?


Das eigentliche Ziel der Krebsforschung ist, basierend auf unseren Erkenntnissen, verbesserte therapeutische Ansätze und fein abgestimmte diagnostische Hilfsmittel zu entwickeln. Dieses Konzept wird aktuell unter dem Begriff „Präzisionsmedizin“ zusammengefasst. Wir lernen derzeit, dass es viel mehr verschiedene Tumorsubtypen gibt, als bisher angenommen. Diese Unterarten sprechen teilweise auch auf Medikamente sehr unterschiedlich an. Ein Gegenstand der pharmakologischen Forschung ist es hierbei maßgeschneiderte Therapieprotokolle zu entwickeln und dabei die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. So kann es zum Beispiel auch vorkommen, dass Medikamente, die eigentlich gegen Brustkrebs entwickelt und zugelassen wurden, in manchen Leukämiepatienten erstaunlich gute Wirkung zeigen. Zusätzlich wurden Geräte entwickelt, mit deren Hilfe man die Wirkung von Tausenden verschiedenen Substanzen auf Krebszellen parallel testen kann. Wenn wir im Labor glauben die potenzielle Achillesferse eines Tumors gefunden zu haben, können wir viele verschiedene chemische Stoffe (Compounds) testen und eventuell einen Wirkstoff finden, der diese Schwachstelle trifft und dadurch den Grundstein für ein neues Medikament legen. Leukämische Zellen werden jedoch leider oft im Laufe der Behandlung resistent gegenüber Therapien. Das liegt unter anderem daran, dass es Krebsstammzellen gibt, die von den Medikamenten schwer erreicht werden können und trotz Behandlung überleben. In hämatologischen Erkrankungen würden somit Medikamente, die leukämische Stammzellen angreifen und vernichten, großen Erfolg versprechen.



Warum bist du bei Südstern? Was gefällt dir am Planeten Medizin?


Durch die Plattform kann ich mir einen Überblick über laufende und geplante Projekte verschaffen und aktuelle Debatten über gesundheitspolitische Themen verfolgen. Außerdem kann ich mir einen Überblick über den Arbeitsmarkt verschaffen.



Unter welchen Bedingungen würdest du nach Südtirol zurückkehren?


Mein Ziel ist es eine eigene Forschungsgruppe zu etablieren, durch deren Hilfe ich an neuen Ansätzen zur Krebsbekämpfung arbeiten könnte. Bei Unterstützung durch die dafür notwendige Infrastruktur und finanzieller Starthilfe würde ich eine Rückkehr nach Südtirol anstreben.



Wie wichtig ist dir Freizeit und womit kannst du am besten deine Batterien aufladen?


Freizeit ist mir sehr wichtig, bietet mir einen guten Ausgleich zum Arbeitsleben und hilft mir neue Energie zu tanken. Unter anderem interessiere ich mich sehr für Musikproduktion und alles, was damit zusammenhängt. Ich versuche oft auf Konzerte zu gehen, um Musik zu genießen und neue Inspiration zu holen. Außerdem liebe ich gutes Essen, Reisen und mich mit anderen Ländern und Kulturen auseinanderzusetzen­.

Was wünschst du dir für Südtirol?


Derzeit gibt es in Südtirol nur wenige Zentren die Wissenschaft betreiben. Ich würde mir wünschen, dass dieser Bereich in Zukunft stärker gefördert wird und Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene gesucht werden. Dadurch könnte sich Südtirol zu einem attraktiven Wissenschaftsstandort entwickeln, derzeit im Ausland forschenden Südtirolern einen Arbeitsplatz bieten und Forscher aus aller Welt anziehen.



Interview: Alexander Walzl